Der Bürgermeister hatte zu einem Diskussionsforum für Eltern, Lehrer und Politiker der Gemeinde Jüchen eingeladen. Mehr als 100 Interessierte waren gekommen. Das Konzept einer Ganztagsschule für die Sekundarstufe I in Gymnasium und Realschule wurde
- in seiner pädagogischen Struktur von Ilse Kamski (TH Dortmund),
- in seiner praktischen Einführung von Barbara Voelker (Gymnasium Laurentianum Warendorf) und
- in seiner begleitenden Jugendhilfe von Alexander Mavroudis (Landesjugendamt Rheinland) dargestellt.
Die Ganztagsschule gestaltet Schule als Lebensraum für die jungen Menschen. Sie kultiviert eine neue Lehr- und Lernhaltung. Sie ist in ihrem Zeitrahmen verglichen mit der heutigen traditionellen Halbtagsschule nur wenig aufwendiger, nicht aber gleich in ihrem Inhalt.
Die Darstellungen lösten eine lange und emotional geladene Diskussion aus, in der bei den anwesenden Eltern und Lehrern anders als bei allen Kommunalpolitikern das „contra“ das „pro“ überwog. Der Grundkonflikt äußerte sich in der Furcht, Freizeit und Familienleben der angestammten Kleinfamilie seien bedroht. Die Schwierigkeiten der Erziehung und Lernförderung bei berufstätigen Eltern, allein erziehenden Elternteilen oder bildungsfernen Schichten blieben dabei gänzlich außer Betracht. Der Erfahrungsaustausch mit Eltern und Schulen, die das Ganztagskonzept erfolgreich umgesetzt haben, sollte übertriebene Ängste auflösen helfen. Der richtige Hinweis auf die personellen, materiellen und räumlichen Nöte vieler heutiger Schulen wurde damit beantwortet, dass Bundes- und Landespolitik das Ganztagskonzept fördern, um Konsequenzen aus den nachteiligen Befunden der PISA-Studien zu ziehen.
Das Problem: Die Entscheidung über den Ganztag an den weiterführenden Schulen trifft deren Schulkonferenz. Diese bestimmt damit über das Interesse der Eltern von Kindern in den Grundschulen, die in der Schulkonferenz überwiegend nicht vertreten sind. Denn erst mit den nachwachsenden Klassen beginnt der Aufbau des Ganztagskonzepts, der ein Prozess über viele Jahre ist; heutige Schüler der Sekundarstufe I sind nicht betroffen.
Die Schulen sind von der Gemeinde als Schulträger aufgefordert worden, ein Schulkonzept für den Ganztag zu entwickeln. Erst damit beginnt die entscheidende Phase der Meinungsbildung unter Eltern und Lehrern. Es bleibt Zeit, sich über Informationslücken, Fehleinschätzungen und Ängste auszutauschen, sich über die zukünftigen Chancen des schulischen Lernens und Lebens unter den geänderten Umständen der Arbeitswelt klar zu werden.
Holger Tesmann